Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

der Text der heutigen Predigt steht im Hebräerbrief (13,12-14). Es sind nur drei Sätze:

Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

(Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.)

Jesus hat gelitten draußen vor dem Tor. Eine eindeutige Anspielung auf die Kreuzigung Jesu. Und weiter: damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut. Auch hier die Anspielung auf den Tod Jesu. Aber gleichzeitig wird auch das gesagt, was uns Christen und Christinnen Jesus so wichtig und ernst nehmen lässt. Jesus ist für uns gestorben, er heiligt uns, dies heißt, er hat unser gestörtes Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung gebracht. Er hat unsere Unfähigkeit, wenn ich es so sagen darf, ausgeglichen. Weiter steht im Text: So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen. Was ist nun gemeint? Nach Golgatha, wo Jesus gekreuzigt wurde könnten wir schon gehen, doch er selbst ist nicht mehr da. Was also dann? Nun, dies können Sie und ich ganz einfach verstehen. Es ist die Aufforderung zu glauben, zu glauben an einen Mann der gekreuzigt wurde. Die Kreuzigung – eine der übelsten Methoden überhaupt um einen Menschen umzubringen. Deshalb war dieser Tod auch nur für Sklaven und nichtrömische Bürger bestimmt, die einen Hochverrat begangen, einen Tempel ausgeraubt oder einen Mord verübt hatten. Es ist also die Aufforderung an einen Mann zu glauben, der eines schweren Verbrechens für schuldig befunden wurde. Wer sich zu Jesus bekannte wurde von anderen eben deshalb als Spinner oder Irrer betrachtet. Wie kann man nur glauben, dass einer, der gekreuzigt wurde, ein Schwerverbrecher also, der ist, der die Menschen rettet, der ist, der die Menschen in ihrer Not tröstet, ja gar der ist, der den Tod besiegt hat? Dies ist die Schmach, die Schande, von der der Text sagt, wir sollen sie auf uns nehmen.   

Spüren wir, wo noch gerade so eine Mehrheit der Menschen in Deutschland sich als Christ oder Christin bezeichnet auch noch solche Schande, wenn wir uns in der Öffentlichkeit zu Jesus bekennen?

Betrachten wir unser Leben einmal unter diesem Gesichtspunkt von der Wiege bis zur Bahre. Bereits kurz nach unserer Geburt bekennen sich unsere Eltern zu Christus. Sie lassen uns taufen. Das ist zumindest bei einem Teil noch selbstverständlich. Paten werden ausgewählt, mit dem Pastor oder der Pastorin wird gesprochen und dann geht es in die Kirche. Und was kommt danach? Mir kommt manchmal der Gedanke, dass sich der eine oder die andere dann hinterher doch schämt. Oder warum kommen nach der Taufe nicht alle Eltern oder Paten regelmäßiger zur Kirche? Denn daran können doch alle sehen, dass sie zu Christus gehören und an ihn glauben. Natürlich – auch zu Hause glauben sie an Christus, doch wer außer ihnen selbst sieht diesen Glauben?

Die getauften Säuglinge selbst lernen die Kirche später entweder gar nicht kennen, oder sie besuchen Kindergottesdienste oder einen kirchlichen Kindergarten. All diese Kinder, auch die, die nicht zur Kirche gehen, setzen sich mit der Frage nach Gott auseinander. Sie kennen keine Scheu, sie schämen sich nicht zu Fragen: Hat Gott die Welt gemacht, wie hat er das gemacht, wie sieht Gott aus usw..  Das wird erst später anders, wenn sie in die Kirche müssen, zum Konfirmandenunterricht. Der Beginn der Konfirmandenzeit fällt zusammen mit dem Beginn der Pubertät. Eltern wissen was Pubertät bedeutet, da brauche ich nicht viele Worte zu schreiben. Und nun ist der offene Umgang mit den Fragen nach Gott plötzlich bei einigen uncool und genau das Gegenteil von „voll fett, Mann“ oder wie immer es die Jugend heute ausdrückt.

Dies liegt zum einen sicherlich daran, dass Konfirmandenzeit eben auch Unterricht ist. Es gilt etwas zu lernen – und wer gibt in der Pubertät schon gerne zu, dass ihn irgendeine Frage, die mit Kirche zu tun hat, möglicherweise interessiert? Außerdem beginnt das Leben doch gerade erst richtig spannend zu werden. Erste Gedanken zum zukünftigen Beruf werden gewälzt. Und dann gibt es da ja auch noch diese anderen Wesen, auch das jeweils andere Geschlecht genannt. Ist doch alles erstens viel spannender als Glaube und Religion und zweitens, ja zweitens, welcher Junge oder welches Mädchen erzählt schon gern vor den zwei, drei Wortführern bzw. Wortführerinnen, die in jedem Jahrgang natürlich coooool sind, dass er an Gott glaubt, oder dass er versucht zu verstehen, was glauben ist? Hier ist es dann doch so, dass sich nicht getraut wird dies Thema ernsthaft anzugehen. Es wird sich geschämt. Ich verstehe das. Der Gruppendruck ist enorm hoch.

Ein Beispiel zu einem anderen Thema: Auf die Frage im Konfirmandenunterricht, ob Alkohol unbedingt zu einem Fest dazu gehört, gab es zwei Lager. Die einen meinten selbstverständlich und die anderen sagten, ein Fest könne auch ohne Alkohol gelingen. Interessant war, wie die Mehrheit, die Alkohol für unerlässlich hielt, auf die Meinung der Minderheit reagierte. Laut und mit abfälligen Äußerungen zog man über die Vertreter und Vertreterinnen der anderen Meinung her. Es wurde, bildhaft gesprochen, eine Abwehrmauer hochgezogen. Warum wurde so heftig reagiert? Weil die eigene Position – Alkohol gehört unbedingt zu einem Fest dazu – plötzlich nicht die allgemein angenommene Wahrheit war? Plötzlich musste die eigene Meinung mit Argumenten vertreten werden. Das ruhige Leben und denken war zu Ende. Die eigenen Gedanken waren nicht mehr die unhinterfragte Wahrheit.

Wer lässt sich und seine Überzeugungen schon gern in Frage stellen? Und damit sind wir dann auch schon bei uns Erwachsenen. Dies gilt auch für uns: Wer lässt sich von uns denn darauf ein, die eigenen Gedanken wirklich offen zu äußern und damit angreifbar zu werden? Wer sagt, was er zu politischen Fragen denkt, gibt etwas von sich preis. Wer sagt, was er glaubt, muss damit rechnen, dass der Gesprächspartner ihn schmunzelnd anblickt, sich plötzlich abwendet oder aber darauf eingeht und in ein Gespräch über Glaubensfragen einsteigt. Es ist dies Offenlegen von unseren innersten Überzeugungen, was uns nicht immer leicht fällt. Wenn wir dies tun, dann stehen unsere Gedanken und Überzeugungen völlig „unbekleidet“ im Raum, völlig ungeschützt, dann sind wir „nackt“. Daher reden wir selten über diese auch privat genannten Fragen. Wir schämen uns schnell, wenn es um die privaten, die innersten, die unbekleideten Gedanken geht.

Hier setzen die Worte des Textes auch an. Wir können unsere Überzeugungen und unseren Glauben ruhig aufdecken. Wir können ruhig sagen, dass wir glauben, Alkohol gehört auf ein Fest und genauso können wir sagen, dass er nicht unbedingt dazugehört. Es ist nur wichtig, der jeweils anderen Seite das Recht des anders Denkens oder Glaubens zu belassen. Wir können also unsere mit einer Mauer umgebene Stadt verlassen und nach draußen gehen. Wir können die Mauer, die wir um uns gezogen haben, einreißen und raus gehen. Und dies gilt eben auch für den Glauben und die Fragen nach Jesus und Gott. Wenn jemand an Jesus glaubt, dann ist das nicht lächerlich oder uncool, sondern ein gutes Recht. Und wenn jemand sagt, er hält den Glauben an ein Leben nach dem Tod für unmöglich, dann hat auch diese Meinung ihr Recht stehen gelassen zu werden. 

Nun sind wir beim letzten Abschnitt mit unserem Blick auf das Leben. Das Alter und der bevorstehende Tod. Gerade jetzt, sie verzeihen bitte das Wortspiel, eine virulente Frage. In der Lebensphase des Alters ist die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, von höchstem Interesse. Es wird deutlich, warum wir unsere Kinder auf den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist taufen lassen, warum sich doch immer noch gute 70 bis 80 Prozent der Jugendlichen in Niedersachsen konfirmieren lassen. Die Frage nach dem Ende und ob es ein danach gibt, berührt uns alle. Egal ob das Kind fragt, nachdem Opa gestorben ist, ob Opa denn im Himmel sei, oder die Klassenkameraden des beim Autounfall tödlich Verunglückten Blumen am Straßenrand ablegen, die Krebserkrankung des Mitschülers betroffen macht oder die erwachsenen Kinder ihre Eltern begraben. Es ist eine Frage, die uns alle immer wieder berührt und bedrängt.

Und die Antwort, die wir Christen und Christinnen haben, ist eine derer sich niemand rühmen kann. Sie lautet: Wir glauben, dass ein umherziehender Prediger, der als verurteilter Schwerverbrecher am Kreuz gestorben ist, den Tod besiegt hat. Und dass er von den Toten auferstanden ist und dies alles für uns getan hat. Dass er unsere Zukunft ist.  Der letzte Satz des Textes lautet: Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Und andernorts in der Bibel: Unser Leben währt siebzig Jahr, wenn es hochkommt achtzig Jahre. 

Und was ist dann unsere Zukunft? Es ist der am Kreuz gestorbene. Er ist unser aller Zukunft. So töricht oder dämlich dies dem einen oder der anderen erscheinen mag, ist es doch zugleich die großartigste Antwort, die gegeben werden kann: Der am Kreuz gestorbene ist auferstanden und wir haben daran unseren Anteil und finden die zukünftige Stadt. Amen. rv

Szene des Stuhrer Passionsaltars

Predigt zum Sonntag 29.03.2020
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