Gnade sei mit euch und Freude von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus

Und den Predigttext von heute ernst nehmend: Gnade sei mit euch von Gott unserer Mutter.

Der heutige Text, wie er in der Lutherbibel (Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart) steht:

Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. 11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. 12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. 13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. 14 Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten.

Liebe Gemeinde,

freut Euch, so kann ich den Text zusammenfassen. Unser Herz soll sich freuen und unser Gebein soll grünen wie Gras. Da ist mal wieder deutlich zu spüren, dass diese Worte vor mehr als 2000 Jahren niedergeschrieben wurden. Aber es ist noch zum Teil verständlich. Wenn die Bibel davon spricht, du bist mein Bein und Fleisch, dann ist ohne längeres Nachdenken klar, es geht um Verwandtschaft. Und wenn das Gebein wieder grünen soll, dann ist klar: neue Lebenskraft soll die Knochen durchfließen.  Wenn allerdings davon gesprochen wird, dass unser Herz sich freuen soll, dann denken wir heute zuerst an Dinge, die mit der Vernunft nicht erklärbar sind. Doch der Begriff Herz umschreibt im Alten Testament genau solches, was wir mit Verstand, Vernunft, Erinnerung und Bildung oder Gewissen verbinden.  Wenn also ein Mensch zum Beispiel einen Mangel an „Herz“ hat, dann meint dies Gedankenlosigkeit oder auch Unvernunft oder schlicht einen Mangel an Bildung.

So wäre dieses alte Bild von fröhlichem Herz und grünendem Gebein heute eher mit folgenden Worten auszudrücken: klare Gedanken und vernünftige Einsichten werdet ihr haben und Kraft wird eure Knochen durchfahren. Ich gebe zu, diese Worte klingen nicht annähernd so schön, wie die alten. Doch es ist es wichtig zu verstehen, dass es in unserem Text gerade auch um den Verstand geht.

Und so möchte ich über diese beiden Punkte jetzt nachdenken: Den Verstand und die Aufforderung zur Freude. Zur Freude ist uns gerade so recht nicht. Stattdessen: Alles abgesagt. Abstand halten. Nichts also, was dem Saugen und Trinken an den Brüsten des Trostes entspricht? Keine Feste? Kein feiern? Oh doch, wir erleben gerade das Sichtbarwerden der Unvernunft. Als gäbe es nichts schöneres als Virenpartys zu feiern, treffen sich Menschen in den Cafés der noch offenen Bäckereien und erfreuen sich an dem, was die Theken hergeben. Die Unvernunft tanzt sozusagen auf den Tischen. Dass dabei so manches grünende Gebein verwelken und verwesen wird? Was solls, wir leben nur einmal und ich gehöre bestimmt zu der Mehrheit, die eh nichts von dem Virus merkt.  Gedankenlos, unvernünftig. Und da treffen sich die alte israelitsche Bedeutung von Herz und unser Verständnis von Herz. Es ist ein gedankenloses, herzloses Verhalten, welches diese Menschen an den Tag legen, die die gerade beschriebenen Gedanken leben. Auf die, die so dem Tod unnötigerweise ausgeliefert werden, wird nichts gegeben. Der Nächste? Nie davon gehört. Oder wie es in einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung formuliert wird: „Die Corona-Krise ist die Stunde der Moralisten, der Machtmenschen, die unter dem Deckmantel der Vernunft endlich Anderen vorschreiben können, was sie zu tun haben. Terror im Namen der Tugend, … .“ So wird für viele andere geradezu der Weltuntergang herbeigeredet und -gefeiert, denn nichts anderes bedeutet solch ein Verhalten, reden und denken für die, deren Körper den Virus nicht verkraften kann. Über die Beschreibeung der Situation in Italien schrieb die Kreiszeitung gestern folgende Überschrift: „Menschen sterben ´wie die Hunde´“.

Gut, das heute dieser Jesaja-Text zu predigen ist. Es ist ein Trostwort. Ein Wort, welches uns aufrichten will. Es sagt uns, dass es besser werden wird. Es wird nicht so bleiben. Auch wenn wir gerade kein Licht am Ende des Virustunnels sehen können, weil so viele die Situation ignorieren und wir selbst uns machtlos fühlen. Vermutlich wird erst eine Ausgangssperre dieser Unvernunft ein Ende setzen können. Doch auch so eine Ausgangsperre ist kein Weltuntergang. Was wir gerade erleben ist eine Vollbremsung. Und ob es ein Weltuntergang oder ein neuer Aufbruch wird, liegt auch an uns. Wenn wir Gewinnmaximierung und immerwährendes Wachstum für segensbringende Ideen halten, dann ist diese Vollbremsung ein Weltuntergang. Wenn wir weiterhin darauf setzen, dass Krankenhäuser nur sinnvoll sind, wenn sie einen Gewinn erwirtschaften, mit dem sie die benötigte Infrastruktur wie Sterilisator, Beatmungsgerät oder Betten selbst anschaffen können, dann wird das Elend und das Leid nur größer. Wenn Pflegedienste und Pflegeheime für Investoren Gewinne von 5% oder mehr abwerfen sollen, dann wird das Leid und Elend nur noch größer. Wenn dann die Sterbehilfe noch zu einem Geschäft wird? Wo wird es uns hinführen?

Doch wenn für uns segenbringendes in schonemden, die Umwelt und die Mitmenschen bewahrendem Miteinander liegt, dann können wir unseren Teil dazu beitragen, dass aus dieser Vollbremsung der Welt Freude und Frieden wie ein überströmender Bach über alle kommt. Wenn der oder die Kranke zum Mittelpunkt von Gesundheitsfürsorge und Pflege wird, dann wandelt sich die Welt zu einer besseren. Dann ist auch der Bedarf an Sterbehilfe möglicherweise so gering, dass daraus kein Geschäftsmodell wird. Wenn ewige Gewinnmaximierung und grenzenloses Wachstum als nicht lebensfördernd erkannt werden, kann ein neuer Weg eingeschlagen werden. Ein Weg für die Menschen und die Menschheit. Dies erfordert Mut zur Umkehr. Dieser Weg wird kein leichter sein, dies wusste auch schon Jesaja. In den Versen vor unserem Predigttext beschreibt er mit dem Bild der Geburt und den dazugehörigen Wehen, dass etwas Neues nie schmerzfrei in die Welt tritt. Der Abschied vom Alten gehört zum Kommen des Neuen. Schon am letzten Sonntag wurde mit dem Blick auf Jesu Ruf „Folge mir nach“ deutlich, dass es nicht einfach ist. So bleibt jeder Neuanfang auch mit Schmerz verbunden. Doch dem Schmerz folgt die Freude. Dies ist sicher. Jesaja beschreibt es so: Sollte ich, der gebären lässt, den Schoß verschließen? Nein, was Gott angefangen hat, das führt er auch zu Ende. Deshalb dürfen wir uns freuen. Freut euch. Die Vollbremsung ist Teil des Weges hin zur Freude. Amen. rv

Und hier noch ein Hinweis auf die heute um 18 Uhr beginnende Aktion „Stille und Gebet“:

Predigt zum 22. März 2020