Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs stellt oldenburgischer Pfarrerschaft Beschlüsse der EKD-Synode vor

„Eine Kirche, die sexualisierter Gewalt nicht wehrt, ist keine Kirche mehr“, sagte Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck, am Mittwoch, 27. Februar, in der Evangelischen Kirche Bloherfelde auf dem Allgemeinen Pfarrkonvent der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg. Der Pfarrkonvent ist eine interne Informations- und Fortbildungsveranstaltung für alle Pfarrerinnen und Pfarrer, die auf Einladung des Bischofs der oldenburgischen Kirche zweimal im Jahr zusammenkommt. Bischöfin Fehrs, die auch Sprecherin des „Beauftragtenrats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“ ist, erläuterte auf dem Pfarrkonvent die Beschlüsse der EKD-Synode vom vergangenen November zu diesem Thema.

„Eine Kirche, die sexualisierter Gewalt nicht wehrt, ist keine Kirche mehr“, sagte Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck, in der evangelischen Kirche Bloherfelde auf dem Allgemeinen Pfarrkonvent der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg.
Alle Fotos: ELKiO/H.-W. Kögel

Das Kirchenparlament der EKD hatte auf seiner Tagung in Würzburg beschlossen, die Maßnahmen zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der EKD auszuweiten und einstimmig einem Elf-Punkte-Handlungsplan zugestimmt, der unter anderem eine Studie über das Dunkelfeld sowie eine unabhängige zentrale Ansprechstelle vorsieht. „Aufarbeitung heißt, sich auch emotional der Schuld zu stellen, als Institution, die in systematisch bedingter Blindheit Tätern und Täterinnen zugespielt und Opfer nicht geschützt hat“, sagte Bischöfin Kirsten Fehrs. Fehrs verwies auf Machtstrukturen, die falsch verstandene Reformpädagogik ab den 1970er Jahren sowie eine unscharfe Trennung von dienstlichen und privaten Verhältnissen. Die Folgen für Betroffene von sexualisierter Gewalt seien oft lebenslänglich quälend. Der Verlust des Glaubens gehöre dabei oft zu „den grausamsten Folgen“.

Flächendeckend zentrale Meldestellen für Betroffene schaffen
Die evangelischen Landeskirchen sind laut Fehrs flächendeckend dazu angehalten, zentrale Meldestellen für Betroffene zu schaffen – wie es in der oldenburgischen Kirche bereits seit 2010 geschehen ist – und eine Meldepflicht für kirchliche Mitarbeitende einzuführen, wenn sie Anzeichen wahrnehmen, dass es zu Übergriffen komme.

Fehrs machte deutlich, dass Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt die Voraussetzung dafür sei, ihr vorzubeugen. „Man muss wissen, was genau passiert ist, um zu lernen, wie man genau das zukünftig verhindern kann.“ Dabei gehe es nicht nur um Konzepte, sondern um „Menschen, die verstanden haben, wie ein Umfeld entsteht, in dem Grenzen missachtet werden und Täter und Täterinnen ihr System etablieren.“ Gewalt, allemal sexualisierte Gewalt, löse bei den meisten naturgemäß erst einmal den zutiefst menschlichen Reflex aus, sich nicht befassen zu wollen. Aber diesen Widerstand zu überwinden, sei unabdingbar, „gerade doch zum Schutz vor weiterem Leid“, betonte Fehrs. „Wir sind es den Betroffenen – und wir sind es uns – schuldig, die gesamtgesellschaftliche Tabuisierung des Themas Gewalt und Sexualität aufzubrechen.“

Bischöfin Kirsten Fehrs, Sprecherin des „Beauftragtenrats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“, erläuterte auf dem Pfarrkonvent in Oldenburg die Beschlüsse der EKD-Synode vom vergangenen November zu diesem Thema.

Bischof Thomas Adomeit: Null-Toleranz-Politik bei sexualisierter Gewalt
Bischof Thomas Adomeit dankte Bischöfin Kirsten Fehrs herzlich für Ihre Ausführungen auf dem Allgemeinen Pfarrkonvent in Oldenburg. „Dass uns anvertraute Menschen — in engeren oder weiteren kirchlichen Bezügen — Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind, macht mich fassungslos und sehr traurig“, sagte Adomeit. Kirche sei Teil der Gesellschaft, insofern sei das nicht verwunderlich und doch zu tiefst erschreckend.“ Laut Adomeit müssen „wir uns fragen lassen und selbst fragen, inwiefern am Ende sogar unsere kirchlichen Strukturen sexualisierte Gewalt begünstigt haben. Und wir müssen uns fragen, inwieweit auf Grund unserer Strukturen sich Opfer nicht getraut haben oder sich nicht trauen, von ihren Erlebnissen zu berichten.“

„Dass uns anvertraute Menschen — in engeren oder weiteren kirchlichen Bezügen — Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind, macht mich fassungslos und sehr traurig“,
betonte Bischof Thomas Adomeit.

Adomeit verwies darauf, dass die oldenburgische Kirche eine Null-Toleranz-Politik im Umgehen mit aktueller oder vergangener sexualisierter Gewalt verfolge. „Das heißt, wenn Vorkommnisse bekannt werden, werden wir dem nachgehen. Wenn Menschen sich nicht trauen, darüber zu sprechen, werden wir sie ermutigen. Wenn es disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen gilt, wird das geschehen. Als Kirche leben wir nur durch Menschen, Menschen, die der Gemeinschaft, der Kirche vertrauen. Dieses höchste Gut ist hoch gefährdet, wenn wir die Aufarbeitung der Vergangenheit, die Betrachtung unserer gegenwärtigen Situation und die Prävention und Schutzkonzepte für die Zukunft nicht angehen“, so Adomeit.

Gleichzeitig verwies der oldenburgische Bischof darauf, dass es in den Bereichen evangelischer Kindergärten, Jugendarbeit und Kirchenmusik mit Blick auf das Kindeswohl bereits Konzepte und Schulungen zur Sensibilisierung und Prävention gebe, für den Bereich Kirchengemeinden und Pfarrerschaft sei dies in Arbeit. Auch Leitlinien für die regionalen Studien würden in diesem Jahr erstellt, kündigte Adomeit an. „Die Opfer warten auf die Antworten ihrer Kirche, sofern sie noch von ihrer Kirche reden können.“

Fortbildung und Sensibilisierungsschulungen für Pfarrerinnen und Pfarrer
Auf dem Allgemeinen Pfarrkonvent stellte Pfarrer Andreas Zuch, Leiter des Referats Gemeindedienste, Fortbildungen und Sensibilisierungsschulungen zum Thema „Macht und Machtmissbrauch in Einrichtungen“ für Pfarrerinnen und Pfarrer vor. Zusammen mit Fachleuten aus dem Kinderschutzzentrum Oldenburg (Vertrauensstelle Benjamin) sollen diese im kommenden Jahr verpflichtend über die Pfarrkonvente in den Kirchenkreisen angeboten werden. Alle drei Jahre sollen Folgeveranstaltungen organisiert werden. Dieses mit dem Kinderschutzzentrum erarbeitete Verfahren sei in Anlehnung an die von der EKD und der Diakonie Deutschland entwickelten Initiative „hinschauen – helfen – handeln“ entstanden, erläuterte Zuch.

„In der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg reden wir über sexuellen Missbrauch“
„Jahrelanges Schweigen und Verheimlichung gehören als ganz fatale Begleiterscheinungen zu fast jeder Missbrauchstat. Ob aus Scham oder als Reaktion auf Drohungen der Täter bleiben so die Betroffenen allein – für Kinder und Jugendliche eine kaum vorstellbare Belastung“, sagt Pfarrer Bernd Rüger. Mit ihm und Diakonin Birgit Jürgens stehen in der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg seit 2010 zwei Ansprechpersonen für vertrauliche Gespräche mit Betroffenen bereit. Das Schweigen zu brechen, sei oft schwer umzusetzen und so blieben Betroffene jahre- und jahrzehntelang allein mit ihrer Verwundung, berichtet Rüger. Aber „wer das Schweigen bricht, geht erste Schritte in die Befreiung und bricht die Macht der Täter“, ermutigt der oldenburgische Ansprechpartner: „In der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg reden wir über sexuellen Missbrauch, der auch in unserer Kirche geschehen ist – und geschieht.“

Prävention in der Jugendarbeit
Seit November 2011 ist der Arbeitsbereich „Kindeswohl und Prävention sexualisierter Gewalt“ fest im Landesjugendpfarramt verankert. Das umfasse unter anderem verbindliche Standards im Bereich der Schulungs- und Freizeitenarbeit und gelte für alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, erläuterte Diakonin Farina Hubl, Referentin für Jugendpolitik und Kindeswohl im Landesjugendpfarramt der oldenburgischen Kirche. Die Vollversammlung der Evangelischen Jugend Oldenburg (ejo) habe im Februar 2012 zusammen mit dem Landesjugendpfarramt einen Verhaltenskodex als Orientierung und Empfehlung für den Umgang von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden mit Kindern und Jugendlichen beschlossen. Das Landesjugendpfarramt arbeite zudem im Bereich Kindeswohl / Prävention sexualisierter Gewalt eng mit den zuständigen kirchenleitenden Stellen zusammen.

„Kinderschutz“ in den Kindergärten
Bereits seit 2007 sind die Kindergärten und ihre Träger durch Bundesgesetz (§ 8a SGB VIII) verpflichtet, ein Verfahren zum Vorgehen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorzuhalten und umzusetzen, berichten Frauke Schmidt und Pfarrerin Hilke Freels-Thibaut von der Fachstelle Kindergartenarbeit der oldenburgischen Kirche. Spätestens seit In-Kraft-Treten des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 sei das Thema Grenzen und Grenzverletzungen durch Mitarbeitende flächendeckend in allen Kindergärten der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg im Fokus. Zu den Aspekten des Kinderschutzes wurden Handreichungen erarbeitet, die 2015 von der Fachstelle Kindergartenarbeit der oldenburgischen Kirche veröffentlicht wurden und in den Einrichtungen umgesetzt werden. Außerdem wurde eigens ein Indikator „Kinderschutz“ in das Qualitätshandbuch für die Kindergärten der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg eingearbeitet. Die Fachstelle Kindergartenarbeit unterstütze die Kindergärten bei der Umsetzung durch Teamfortbildungen zum Thema, Prozessbegleitung bei der Entwicklung von Kinderschutzkonzepten (Ethikkodex, Verfahren bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung, Sexualpädagogisches Konzept) und durch Handreichungen und Qualitätsmanagement.

 
Kontaktmöglichkeiten in der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg:
Birgit Jürgens, Telefon: 0441-7701 133, E-Mail: birgit.juergens@kirche-oldenburg.de 
Pfarrer Bernd Rüger, Telefon: 0441-7701 122, E-Mail: bernd.rueger@kirche-oldenburg.de 
Homepage: www.kirche-oldenburg.de/themen/seelsorge-beratung/sexueller-missbrauch.html 

Weitere Informationen zu den Ergebnissen der EKD-Synode im November 2018 finden Sie unter: www.ekd.de/synode-beschliesst-elf-punkte-plan-sexualisierte-gewalt-40391.htm

Quelle: Pressemitteilung der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg:

https://www.kirche-oldenburg.de/nc/aktuell/pressemitteilungen/artikel/tabuisierung-von-gewalt-und-sexualitaet-aufbrechen.html

Tabuisierung von Gewalt und Sexualität aufbrechen
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